In German from Der Spiegel: Angriff der Killer-Möwen
Doch Matrose Martin bekam nach kurzer Zeit eine Panikattacke. "Holt mich raus! Holt mich raus!", schrie er. Die Besatzung zog ihn aufs Schlauchboot - und tuckerte zurück zur "Poseidon". Ich konnte es nicht glauben. Es war fest vereinbart worden, dass das Schlauchboot zur Sicherheit immer neben den Testpersonen blieb. Ich rief noch hinter ihnen her, doch sie konnten mich offenbar nicht hören.
Möwen greifen an!
Ich trieb in der offenen See und versuchte, meine Furcht zu unterdrücken. Der Wind, der zu Beginn des Tests mit Beaufort vier wehte, frischte immer mehr auf. Das Wetter änderte sich dramatisch: Schneetreiben setzte ein und Böen der Stärke sieben peitschten über das Meer. Ich konnte "Poseidon" nicht mehr erkennen.
Zähe Minuten. Wie lange ich im Wasser trieb, weiß ich nicht, denn Zeit fühlt sich in einer Lebensgefahr ganz anders an. "Die wissen an Bord, wo ich bin und holen mich jeden Moment raus", redete ich mir ein.
In meinen Jahren als Seemann war ich zuvor zwei Mal knapp dem Tode entkommen. Auf dem Fischdampfer "Württenberg" traf mich ein schwerer Eisbrocken am Kopf, doch ich fiel nicht über Bord, sondern bewusstlos aufs Deck. Ein anderes Mal geriet ich mit einem kleinen Schlauchboot in die Schraube eines Trawlers, die mich wie durch ein Wunder nicht zermalmte, sondern nur einige Rippen brach. Nun schien mein Glück aufgebraucht zu sein.
Ich sah plötzlich einen hellen Schatten auf mich zukommen. Noch einen. Möwen! Ein Schwarm Möwen griff mich an. Sie zielten mit ihren spitzen Schnäbeln immer wieder auf mein Gesicht, direkt auf meine Augen. Es war wie in diesem Horrorfilm. Ich versuchte, mich zu schützen und durch die ruckartigen Bewegungen und den Seegang kippte ich immer wieder auf die Seite. Das angewärmte Wasser lief aus dem Anzug. Mir wurde kalt. Wenn eine Welle mich anhob, drehte ich verzweifelt den Kopf, um nach dem Schiff Ausschau zu halten. Keine Spur der "Poseidon."
Ich wusste, dass ich sterbe
Meine Beine wurden taub. Ich spürte, man muss das so ausdrücken, wie der Tod kam. Ich wusste, dass ich nun sterben würde. Seltsam war, dass es mir nicht sonderlich schwer fiel, mich zu verabschieden. Ich weiß noch, dass ich darüber nachdachte, ob ich als Seemann alles richtig gemacht hatte. Ich tröstete mich, denn ich war überzeugt, meine Aufgaben so gut es ging erfüllt zu haben.
In meinem Kopf sah ich einzelne Bilder: Meine Frau, unser Zuhause, wie Fotos aus unserem Leben. Ich ging mein Leben schnell durch, blieb dabei aber ganz ruhig. Dass die Möwen immer aggressiver wurden, bekam ich noch mit. Dann wurde es dunkel in meinem Kopf, als drehte jemand einen Lichtschalter ganz langsam aus. Es war mir, als sinke ich hinab in ein finsteres, tiefes Loch.
Als ich wieder zu mir kam, spürte ich in einer Art Dämmerzustand, wie mich starke Arme über Deck schleiften und man mich entkleidete. Ich selbst konnte mich nicht bewegen, es war, als sei ich gelähmt. Was nun geschah, war an Absurdität kaum zu überbieten, denn den Gefahren des Ozeans und den Möwen war ich entkommen, nicht aber dem Mediziner an Bord der "Poseidon". Der Doktor ließ mich entkleiden, unter eine heiße Dusche stellen und flößte mir einen halben Liter Punsch ein.
Nach 24 Stunden wieder Wachdienst
Mein unterkühlter Körper bäumte sich im Schock auf, ich zitterte, ich flatterte regelrecht, es war ein furchtbares Gefühl, das nicht enden wollte. Erst nach einer Stunde stabilisierte sich mein Kreislauf allmählich. Es grenzt an ein Wunder, dass mein Herz nicht aussetzte. Man brachte mich auf meine Kammer. 24 Stunden durfte ich ruhen, dann teilte man mich wieder einem Wachdienst auf der Brücke zu. Was ich erlebt hatte, die Furcht, die Todesnähe, beschäftigte mich noch einige Tage lang. Ich überlegte, Kapitän und Arzt mit meinen Vorwürfen zu konfrontieren, ließ das aber sein. Sie hatten zwar fahrlässig, aber nicht absichtlich falsch gehandelt.
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